Seine Stimme stockte.
Er schluckte hörbar.
“Es tat so weh. Ständig hatte ich Schmerzen in der linken Hand”, schildert Simon.
Als 7-jähriger Linkshänder wurde er in der Grundschule dazu gezwungen, mit rechts zu schreiben. Um den Impuls in der linken Hand zu unterdrücken, band der Lehrer seine linke Hand ein.
“Bis heute fühle ich mich beim Schreiben unwohl. Meine Handschrift ist absolut unleserlich”, erzählt Simon seine schmerzhaften Erlebnisse.
Zum Glück sind diese Zeiten vorbei.
Leider erleben heute Kinder mit Lernschwierigkeiten einen ähnlichen Druck zur Gleichmacherei in der Schule.
In diesem Beitrag zeigen wir dir:
- wie die Schule versucht, dein Kind mit Lernschwierigkeiten zu verbiegen.
- welche schlimmen Folgen das haben kann.
- und wie du dein Kind aus dieser schwierigen Situation befreien kannst.
Legen wir los.
Die teuflische Seite
“Ein göttliches Zeichen. Heute gewinnen wir.”
Der Athlet deutete zu den Sonnenstrahlen, die zu seiner Rechten durch die dunkle Wolkendecke drangen.
Sätze wie diese hörte man in der Antike oft.
Denn die alten Griechen verbanden Omen und Zeichen, die von rechts kamen, mit Glück und göttlicher Unterstützung.
Die linke Seite war hingegen schlecht.
Sie war der Ursprung für Warnungen und böse Omen.
Diese Vorstellung fand auch den Weg ins Christentum: Die rechte Seite steht für göttliche Autorität.
Nicht zufällig sitzt Jesus zur Rechten Gottes (Matthäus 25:33). Auch das Jüngste Gericht stellt die “Guten” nach rechts. Sie kommen ins Himmelreich.
Die “Bösen” hingegen stehen links und kommen in die ewige Verdammnis (Matthäus 25:31–46).
Solche Verknüpfungen haben dazu beigetragen, dass die linke Seite lange Zeit als schlecht galt.
Der Zwang zur Gleichmacherei
Einheit um jeden Preis.
Vielfalt? Fehlanzeige.
Individualität? Ebenfalls unerwünscht.
Bis zum 20. Jahrhundert erzog die Schule in vielen europäischen Ländern Linkshänder zu Rechtshändern um.
Einer von ihnen war Simon.
Diese erzwungene Gleichmacherei hatte gravierende Folgen für die Kinder – kurzfristig wie auch langfristig.
“Schreib das noch mal”, hörte Simon seine Lehrer unzählige Male sagen.
Denn:
Direkt nach der Umerziehung hatte er erhebliche Probleme mit der Feinmotorik.
Seine Handschrift war krakelig.
Jede weitere Aufgabe, die motorische Präzision verlangte, kostete ihn viel Konzentration.
Der zusätzliche Fokus raubte ihm Energie und überforderte ihn.
Die Folge: Stress und Frustration.
Doch die Nachwirkungen der Umerziehung endeten nicht in der Kindheit.
So wie beinahe alle Betroffenen leidet auch Simon noch heute unter den Langzeitfolgen.
Wie fragst du dich?
Seine Fingerfertigkeiten sind eingeschränkt und seine Handschrift ist nach wie vor unleserlich.
In stressigen oder unbekannten Situationen benutzt er die linke Hand.
Unbewusst.
Dadurch steht er in einem ständigen inneren Konflikt:
Jedes Mal, wenn Simon einen Stift in die Hand nimmt, fragt er sich, wieso er nicht so schreiben kann wie alle anderen.
Die Widersprüche zwischen der erlernten und der natürlichen Händigkeit führen zu tiefen Selbstzweifeln.
Jede krakelige Linie ist ein Beweis für ihn, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Das “Umpolen” hat einen hohen Preis für Simon.
Die emotionalen und psychischen Belastungen wirken bis heute nach. Bei einigen Betroffenen führt dies bis hin zu Identitätsproblemen.
Denn:
Sie mussten sich der Norm anpassen.
Sie wurden nicht so akzeptiert, wie sie sind.
Diesen Drang zur Gleichmacherei erleben Kinder mit Lernschwierigkeiten auch heute noch.
Die Autobahn, die nie ans Ziel führt
“My way or the highway!”
Die englischsprachige Redewendung drückt es aus: Es gibt meinen Weg und keinen anderen.
So ist es auch in der Schule.
Es gibt einen Lernplan. Die ganze Klasse folgt demselben Unterricht und nutzt ein Lehrmittel.
Das klingt nach Gerechtigkeit für alle.
Doch für Kinder mit Lernschwierigkeiten ist das keine Fairness, sondern der Zwang zu Lernwegen, die ihnen nichts bringen.
Zum Glück geschieht das heute ohne physische Gewalt.
Doch die starren Strukturen geben keinen Raum für individuelles Lernen. Sie zwingen die betroffenen Kinder in ein steifes Korsett, das die Kinder zu erdrücken droht.
Mit schlimmen Folgen:
Wie bei den “umgepolten” Linkshändern hinterlässt auch dieser Zwang tiefe Spuren.
Denn die Kinder können dem Unterricht nicht folgen.
Sie sitzen zwar da.
Sie hören die Erklärungen.
Sie schauen auf die Arbeitsblätter.
Doch sie können damit nichts anfangen.
Die erwarteten Fortschritte kommen nicht. Die Kinder fallen immer weiter zurück. Sie können dem Leistungsdruck nicht standhalten.
Lernlücken tun sich auf. Schlechte Noten sind die Folge und die Rückversetzung droht.
Die Kinder erleben immer und immer wieder:
“Ich genüge nicht!”
“Etwas ist falsch an mir!”
Während ihre Mitschüler die Aufgaben scheinbar problemlos lösen, starren sie immer noch auf das Arbeitsblatt vor ihnen.
Die Aufgaben verschwimmen. Sie hören die anderen Kinder tuscheln.
Für sie fühlt es sich so an, als ob ihnen die ganze Welt beim Scheitern zusieht.
Ihr Selbstwertgefühl sinkt immer weiter in den Keller.
Sie fühlen sich als Versager.
Viele Kinder machen das zu ihrer Identität: “Ich bin das Kind, das nicht rechnen/lesen/schreiben kann!”
Das ist schlimm – und gleichzeitig vermeidbar.
Von rechts auf links: Der Wechsel, der alles verändert
Die Mütze passt auf jeden Kopf.
Ob klein oder groß.
Deshalb steht auf dem Etikett: “One size fits all.” (eine Größe passt allen).
Doch das funktioniert beim Lernen nicht.
Denn: Kinder sind unterschiedlich – und sie lernen unterschiedlich.
Einige brauchen mehr Zeit, andere Erklärungen und Sinneskanäle, um ein Verständnis aufzubauen. Die schulischen Wege funktionieren für sie nicht. Sie sind für die Kinder zu schnell, zu papierlastig und zu abstrakt.
Wie bei Simon die aufgezwungenen Abläufe fürs Schreiben mit der rechten Hand.
Deshalb nennen wir diese Lernansätze die “Rechtshänder-Ansätze”.
Sie passen für viele Kinder.
Doch bei Kindern mit Lernschwierigkeiten bleiben sie wirkungslos.
Du kannst dir das wie eine Schlucht vorstellen:
Auf der einen Seite ist die Gedankenwelt des Kindes.
Auf der anderen Seite sind die schulischen Lernansätze: Die Erklärungen, Arbeitsblätter und Übungshefte, die das Kind im Schulunterricht bekommt.
Diese Mittel schaffen es nicht, eine “mentale Brücke” zum Kind zu schlagen.
Das Kind schaut die Aufgaben an. Es beschäftigt sich damit.
Doch die Aha-Erlebnisse kommen nicht.
Warum?
Ganz einfach: Sie schaffen nicht den Schritt in die Gedankenwelt des Kindes.
Für Linkshänder gibt es heute Scheren, Füller und andere Schreibmittel für Linkshänder. Genau das brauchen auch Kinder mit Lernschwierigkeiten: Andere Lernansätze, die ihren speziellen Bedürfnissen entsprechen.
Wir nennen sie “Linkshänder-Ansätze”.
Leider steckt die Schule in der Gleichmacherei fest und hält an den “Rechtshänder-Ansätzen” fest.
Beispielsweise in Mathe:
Die Lehrer erklären ihren Schülern den Zahlenraum oft am Zahlenstrahl.
Für uns Erwachsene und für viele Kinder ist es klar, wo die 73 liegt.
Doch für Kinder, denen die Vorstellung und das Verständnis für den Zahlenraum fehlt, bleibt der Zahlenstrahl vor allem eins: abstrakt und unverständlich.
Brauchst du ein weiteres Beispiel?
“Lies mehr!”
Erwachsene greifen oft zu diesem Rezept, wenn Kinder Mühe mit dem Lesen haben.
Doch in den meisten Fällen fehlt es ihnen nicht an Übung, sondern an den sicheren Grundlagen.
Nur wenn sie diese entwickeln, können sie genau und flüssig lesen.
Du siehst:
Diese Rechtshänder-Ansätze helfen nicht.
Vielmehr schaden sie: Denn sie führen die Kinder zu noch mehr Frustration und Scheitern.
So durchbrichst du den schädlichen Kreislauf
Es mag ernüchternd klingen.
Doch es ist die traurige Wirklichkeit: Dein Kind mit Lernschwierigkeiten bekommt in der Schule nicht das, was es wirklich braucht. Leider meist auch nicht in den schulischen Lernförderungen, die betroffenen Kindern angeboten werden.
Denn dein Kind braucht andere Wege.
Wege, die individuell auf dein Kind zugeschnitten sind. Es dort abholen, wo es steht. Die seine speziellen Lernbedürfnisse treffen.
Deshalb schafft dein Kind in der Schule nicht den Schritt aus den Lernschwierigkeiten.
Mit bösen Folgen:
Der Schulstoff geht unaufhörlich weiter – und die Lücken bei deinem Kind werden immer größer. Wertvolle Zeit geht verloren. Und dein Kind leidet unnötig, während ihr auf Fortschritte wartet, die nicht kommen.
Was heißt das für dich?
Durchschaue, was abläuft.
Halte dir immer vor Augen, dass dein Kind nicht “falsch” ist. Das Problem liegt nicht an deinem Kind, sondern an den “rechten” Lernansätzen, die nicht passen.
Und lass dich nicht vertrösten durch Aussagen wie “Das kommt schon noch. Warten Sie nur ab!”
Traue dich, das Steuer selbst in die Hand zu nehmen.
Denn du kannst als Elternteil den entscheidenden Unterschied machen und diese Dynamik durchbrechen.
Noch mehr: Du kannst dein Kind selbst aus den Lernschwierigkeiten führen.
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Willkommen in der “Welt der Lern-Linkshänder”.
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